Du liest eine Nachricht.
Ein Satz – vielleicht kühl formuliert, vielleicht lieblos, oder einfach nur ohne die üblichen Smileys.
Vielleicht ist es aber auch Schweigen, weil du auf eine Antwort wartest, die aber ausbleibt.
Und plötzlich zieht es dir den Boden unter den Füßen weg. Ein Kloß im Hals. Der Schmerz sitzt tief. „Wie kann er/sie mir das antun?“
Wir alle kennen solche Momente. Wir fühlen uns übergangen, abgelehnt, nicht gesehen oder nicht geliebt.
Es wirkt, als hätte jemand im Außen uns verletzt. Doch was, wenn das gar nicht stimmt?
Was, wenn das, was uns trifft, nicht das Verhalten des anderen ist – sondern die Geschichte, die wir uns selbst darüber erzählen?
In diesem Artikel lade ich dich ein, diese Perspektive zu erforschen. Nicht, um Schuld bei dir zu suchen – sondern um eine neue Freiheit zu entdecken, wenn du in die Eigenverantwortung gehst.
Ich möchte dich konkret in eine Situation in meinem Alltag mitnehmen:
Als ich über diesen Artikel nachdachte, wollte ich ihn mit meinem Partner besprechen. Ich wollte mich mitteilen, meine Gedanken laut wälzen, seine Meinung dazu hören.
Wir sitzen uns gerade auf der Couch gegenüber, ich blicke von meinem Notizbuch auf und beginne zu erzählen. Mein Partner hat bis eben auf sein Handy geschaut, doch nun hört er mir aufmerksam zu. Während ich erzähle, schweift sein Blick langsam wieder zu seinem Handy. Seine Antworten werden kürzer, und am Ende klebt sein Blick wieder auf dem Display – ich bekomme nur noch ein gebrummtes „Mhmh“ als Antwort.
Ich merke, wie sich mein System regt und ihm empört Vorwürfe machen möchte. Es will schreien: „Hey, ich bin wohl nicht wichtig genug für deine Aufmerksamkeit?“, „Du interessierst dich wohl überhaupt nicht für mich?“, „Ist dir mein Blog und mein Erfolg denn total egal?“
Ich möchte schimpfen, wie respektlos und verletzend ich sein Verhalten finde.
Und passend zu diesen Gedanken wollen Gefühle hochkommen. Ich fühle mich nicht gesehen, nicht wertgeschätzt, ungeliebt – und bekomme einmal mehr scheinbar bestätigt, was ich doch schon immer „wusste“: Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden!
Ich möchte diese Begebenheit ein wenig mit dir auseinandernehmen. Schauen wir uns einmal die Ausgangssituation an:
Ich rede und adressiere meine Worte an meinen Partner, den ich dabei anschaue. Mein Gegenüber schaut währenddessen auf sein Handy.
Das ist die Situation rein faktisch.
Doch es gibt Komponenten, die ich nicht kenne: Was macht er da auf seinem Handy? Hört er mir gleichzeitig zu oder ist er zu abgelenkt von dem, was er sieht? Welche Gedanken beschäftigen ihn in dem Moment? Gibt es Gefühle, die gerade bei ihm präsent sind? Was hat ihn bewogen, auf sein Handy zu blicken?
Das sind Fakten, die mir in der Situation fehlen.
Was mein System nun macht, ist folgendes: Es erschafft sich seine eigene Geschichte, um die fehlenden Informationen zu ergänzen und ein (für mich) rundes Bild zu erschaffen. Das ist wichtig, um die Situation vollständig zu erfassen und einzuschätzen, ob mir Gefahr droht.
Genau das tut unser Gehirn permanent: Es schätzt ab, ob Gefahr besteht. Dafür bewertet unser System jede Situation, jeden Menschen, jede Handlung, jede Unterlassung – ununterbrochen und meist unbewusst. Im Hintergrund ordnen wir alles und jeden fortlaufend ein: in Kategorien, in Schubladen, in richtig und falsch, in gut und böse.
Und genau daraus entstehen die bewertenden Gedanken, die wir alle nur zu gut kennen. Oft sind es unbewusste, kleine Gedanken: – „Die übertreibt total mit ihrem Make-up.“ – „Ziemlich protzig, das neue Auto vom Chef.“ – „So etwas macht man einfach nicht.“ – „Immer diese Leute, die alles besser wissen müssen.“
Doch woher kommen diese Bewertungen?
Wir alle sehen die Welt niemals objektiv, wie sie ist. Jeder von uns blickt durch eine gefärbte Brille – eingefärbt durch unsere eigenen Glaubenssätze, Konditionierungen und Annahmen darüber, wie die Welt funktioniert.
All das entsteht zu einem großen Teil in den ersten sieben Lebensjahren – durch die Erfahrungen, die wir machen. In dieser Zeit lernen wir, wie Beziehung und Verbindung vermeintlich funktionieren, was von uns erwünscht ist, was erwartet wird. Grob gesprochen: Wir lernen, wie wir überleben, ohne großen Schaden zu nehmen.
Wenn mein Partner mir also anscheinend nicht mehr zuhört und stattdessen auf sein Handy schaut, interpretiere ich diese Situation durch meine persönliche Brille. In meinem Kopf entstehen blitzschnell Gedanken wie: „Er interessiert sich nicht für mich.“, „Sein Handy ist ihm wichtiger als ich.“, „Typisch, das macht er immer.“
Diese Bewertung geschieht innerhalb weniger Sekunden – oft, ohne dass wir überhaupt bemerken, dass sie aus unserer Interpretation heraus entsteht. Noch schlimmer: Wir glauben diesen Gedanken und halten sie für die absolute Wahrheit.
Und dann geht es noch einen Schritt weiter. Plötzlich fühle ich mich unwichtig, nicht gesehen und ungeliebt.
Doch woher kommen diese Gefühle so plötzlich?
In dem Moment, in dem wir Gedanken über eine Situation entwickeln, reagiert unser Körper sofort. Er produziert passende Emotionen, um unsere Geschichte zu „belegen“. Und so sind sie plötzlich da: der Schmerz, die Wut, die Traurigkeit.
Und die Gewissheit: Der andere hat mich verletzt!
Innerlich nehmen wir eine bestimmte Haltung gegenüber dem anderen ein: Vorwurf, Abwehr oder Rückzug. Und unsere Handlungen folgen dieser inneren Haltung.
Da bei unserem Gegenüber oft das gleiche innere Muster abläuft, entsteht ein Teufelskreis, in dem sich beide verletzt fühlen – und in dem sie die emotionale Verbindung kappen, um sich zu schützen. Dabei möchte doch jeder Mensch auf dieser Welt im Grunde nur eines: gesehen und geliebt werden.
Wie kann man nun den Ausstieg aus diesem Teufelskreis finden?
Das A und O ist Bewusstheit und Reflexion. In den wenigsten Fällen hat uns das jemand beigebracht – also dürfen wir nun üben, üben und noch einmal üben.
Die Entwicklung aus dem Muster geschieht in kleinen Schritten:
1. Nach einer aufwühlenden Situation kann ich hinterfragen, was genau die faktische Ausgangssituation war – und ab welchem Moment ich begonnen habe, zu interpretieren. Wo habe ich fehlende Fakten durch Annahmen ersetzt?
Hilfreich ist es, mit einer vertrauten Person zu üben: Ich kann ihr mitteilen, dass ich an diesem Thema arbeite, und bei Bedarf nachfragen, was in ihrem Kopf wirklich vorging – vor allem dort, wo meine Glaubenssätze die Führung übernommen haben.
Auch das Kennenlernen der eigenen Glaubenssätze ist eine wichtige Stütze: Woher kommen sie? Wie sind sie entstanden? Und sind sie überhaupt wahr?
2. Mit genügend Übung gelingt es mir irgendwann, schon in der Situation zu erkennen: Ich erzähle mir gerade eine Geschichte. Mein System produziert passende Gedanken und Gefühle dazu. Und trotzdem werde ich es vielleicht noch nicht schaffen, auszusteigen. Das kann ein Gefühl von Machtlosigkeit oder Hilflosigkeit auslösen.
Was hier hilft, ist Mitgefühl mit mir selbst – liebevoll und milde mit mir umzugehen, anstatt mich abzuwerten. Ich darf mir bewusst machen: Ich lerne gerade etwas Neues. Und mich so behandeln, wie ich auch meinen Lieblingsmenschen behandeln würde: unterstützend, wertschätzend, liebevoll.
3. Und irgendwann wird es mir gelingen: Während die Geschichte abläuft, erkenne ich sie – und steige aus. An dieser Stelle darf ich stolz auf mich sein und kurz innehalten.
Denn wenn ich aus der Geschichte ausgestiegen bin, kann ich mein Gegenüber wieder klarer sehen – den Menschen hinter seiner Geschichte. Und vielleicht erkenne ich dann sogar mit Mitgefühl, dass auch er oder sie gerade noch in einer Geschichte feststeckt – und den Ausweg (noch) nicht findet.
Dieser Entwicklungsprozess schenkt nicht nur inneren Frieden – er verändert unseren Blick auf die Welt.
Er ermöglicht uns eine neue Freiheit: die Freiheit, uns nicht mehr von unseren Gedanken und Gefühlen begrenzen zu lassen.
Wir können unsere Flügel ausbreiten und uns hoch in den Himmel der Möglichkeiten aufschwingen, anstatt im selbst geschaffenen Käfig zu sitzen und andere für unser Leid verantwortlich zu machen.
Wir können beginnen, Verantwortung für unser Erleben zu übernehmen. Denn wenn mein Gegenüber nicht mehr verantwortlich für meine Gefühle, mein Wohlbefinden oder mein Glück ist, entsteht etwas Unglaubliches: innere Macht.
Das ist wahre Freiheit.
Ich habe meinen Partner darauf angesprochen, wie es kam dass er mir nicht aufmerksam zuhören konnte sondern so gefesselt war von seinem Handy. Wie sich herausgestellt hat war er gerade dabei eine Aufgabe zu erledigen, die er sich für heute als TO DO gesetzt hatte. Und dafür musste er sich ziemlich konzentrieren. Da ich einfach los gesprudelt bin mit meinen Gedanken fühlte er sich unterbrochen in seinem Prozess und hatte Mühe so schnell umzuschalten und mit seiner Aufmerksamkeit bei mir zu bleiben. Für ihn war es wichtig diesen Task baldmöglichst zu beenden.
Seine Verhalten hatte also weder etwas damit zu tun, wie sehr er mich liebt, noch war sie ein Ausdruck fehlender Wertschätzung oder Interesses. Im Gegenteil habe ich seine Grenze überschritten indem ich ihn ungefragt unterbrochen habe und ignoriert habe, was für ihn gerade wichtig ist.
Und was ich auf meinem Weg gelernt habe: Niemand muss diesen Weg allein gehen – und kaum jemand kann es. Verletzung entsteht in Beziehung – und Heilung auch. Nur in Beziehung zu einem anderen Menschen können wir neue Erfahrungen machen und die alten Pfade unseres Gehirns neu programmieren.
Gerne begleite ich dich auf diesem Weg.
Ich erforsche mit dir gemeinsam deine persönlichen Geschichten und helfe dir dabei, nach und nach aus alten Mustern auszusteigen.
Schreib mir gern – ich freue mich darauf, dich ein Stück auf deinem Weg zu begleiten. 🧡